Es passiert relativ selten, dass mich eine Band als Gesamtpaket derartig überzeugt, dass ich ihr das Label „Lieblingsband“ verpassen würde. Zu meinen Teenie-Zeiten wurde diese „Ehre“ vor allem skandinavischen Mainstream-Pop-Exporten der Marke a-ha und Roxette zuteil. Bei der Progressive-Rock-Band „Spock’s Beard“ war ich mir Ende der 90er allerdings sicher: Mehr geht nicht – das Paket aus Ohrwürmern, musikalischem Anspruch, vor Spielfreude strotzenden Live-Auftritten und einem charismatisch-sympathischen Frontmann (Neal Morse) war einmalig. Als diese Band sich dann auch noch an einem Doppel-Konzept-Album im Stile von Pink Floyds „The Wall“ versuchte, erreichte meine Verehrung ein neues Niveau: „Snow“ neigte zwar zum Kitsch und wirkte etwas zusammengeflickschustert – ansonsten aber trafen mich die virtuos eingespielten Morse-Kompositionen voll in Herz und Seele. Fast zeitgleich zur Veröffentlichung der große Schock: In einem Fanforum las man düstere Prophezeiungen der Marke „Etwas Schlimmes ist geschehen und wird zeitnah verkündet“. Auf die Befürchtung folgte schnell Gewissheit: Neal Morse verließ die Band, um sich musikalisch seiner christlichen Bestimmung zuzuwenden. Gott persönlich hatte ihm dabei laut eigener Aussage beim Joggen den Ausstieg nahegelegt.
Eine böse Folge davon: Da eben jener Gott sich wenig um Marketingmaßnahmen, Veröffentlichungszyklen und Booking schert, wurde das besagte Opus Magnum der Band niemals live aufgeführt. Womit ich mich in meinem zwischen Verwirrung und Rest-Euphorie schwankenden Zustand schwerlich abfinden konnte. Aus Trotz entstand der Schwur „Sollte ‚Snow‘ irgendwo in diesem Universum nochmal live aufgeführt werden, bin ich anwesend!“. Die Aussicht auf Realisierung dieses Vorhabens erschien allerdings gering, nicht nur, weil ich in der Zwischenzeit – strategisch höchst unklug! – aus der Kirche ausgetreten war.
Es folgten 13 1/2 Jahre, in denen ein Urwald an Gras über die Sache wuchs. Dann plötzlich, im Frühjahr 2016, die Ankündigung: „Spock’s Beard & Neal Morse spielen ‚Snow‘ in Nashville“! Es war, als würde man einen Kanonenschlag in einen Hühnerstall werfen. Problem: 7259km Luftlinie, für 90 Minuten Musik? Der Schwur hatte mit den Jahren Einiges an Verbindlichkeit eingebüßt – nicht nur, weil Herr Morse sich in der Zwischenzeit zu einem (greisen) Meister der Selbstwiederholung entwickelt hatte.
Glücklicherweise hatten Band und Ex-Mastermind ein Einsehen mit ihren transatlantischen Freunden: Ein zweiter Termin wurde für Mitte Juli 2016 angekündigt! Auf der traditionsreichen Loreley-Freiluftbühne am Rhein spielte die Ur-Band – ergänzt um diverse, durch Besetzungswechsel dazugekommene, Neu-Mitglieder -das Album „in its entirety“: Ein musikalisch wie emotional bewegender Abend, der einem wunderbaren Album nach 14 Jahren seine verdiente Würdigung verschaffte.